Thomas Schneider

Die Anfahrt nach Oberstdorf war mit unerwartetem Schneefall etwas turbulent. Nachdem ich über einen frisch zugeschneiten Pass neues Vertrauen in meine Winterreifen, ABS und Fahrkünste gewonnen hatte, kam ich mit leicht wackeligen Knien zum Interview. Thomas und sein Kollege Florian begrüssten mich herzlich im heimeligen Hinterzimmer eines Cafés. Nach einem warmen Tee und ein paar mindestens ebenso wärmenden Worten starteten wir ins Interview.

Die Funken-Geschichten der Nominierenden

Thomas habe ich in einem Achtsamkeitsseminar als Trainer kennen gelernt. Die Woche mit ihm hat mich berührt und nachhaltig begleitet. Daher war es mir ein Anliegen, Thomas als Funkensprüher zu nominieren:

«In der Achtsamkeits-Woche, die von Thomas geleitet wurde, hatte ich das Gefühl, dass alles was da war, sein durfte. Ich hatte das Gefühl mich so zeigen zu können, wie ich bin und dass alles raus durfte, ohne gewertet zu werden. Es gab dann noch eine bestimmte Situation, die mich sehr berührt hat. Auf dem Rückweg einer Achtsamkeitswanderung ergab sich ein Gespräch mit Thomas. Ich erzählte ihm, dass ich gerade gekündigt hatte und mit dem Gedanken spiele, mich selbstständig zu machen. Es war kein langes Gespräch, vielleicht etwa 15 min. Thomas gab mir dabei keine Ratschläge oder Tipps. Er erzählte erst ein wenig aus seiner Geschichte und ich weiss gar nicht mehr genau, was es war, dass er sagte. Der Funken lag für mich nicht im Gesagten, sondern im Gefühl, was er mir vermittelt hat: `Du machst das. Gehe deinen Weg. Du wirst das hinbekommen.´ Es war so, als wenn ich dadurch wieder Zugang zu etwas bekommen habe, von dem ich die ganze Zeit wusste, dass es zu mir gehört. Etwas, das schon da war. Durch seine Funken habe ich das wieder gespürt und den Mut gefunden, die nächsten Schritte auf meinem Weg zu gehen.»

Jennifer Konkol

Das Interview

Mal aus dem Bauch heraus: Solche Situationen, wie ich sie dir gerade geschildert habe, kennst du die aus Deinem Leben?

Ja, ich denke das ist genau worum es in unseren Seminaren oder generell beim Thema Achtsamkeit geht. Achtsamkeit ist ja ein wertungsfreies, offenes Dasein bei dem man akzeptiert, was gerade ist. Menschen besuchen oft ein Seminar, weil sie an einer Weggabelung stehen. Ihr Inneres sagt ihnen: «Mach das, erfülle Deine Träume und Wünsche. Werde frei!». Der Kopf oder der konditionierte Geist ist dann oft die Bremse, der gelernt hat «Du musst SO sein und DAS machen, damit es funktioniert.». Es geht dabei viel um das Thema Angst und Sicherheit. Im Elternhaus, in der Schule und auch später hören wir oft Sätze «Du musst…! Du bist nicht gut genug. Du schaffst es nicht. Du musst mehr leisten». Man bekommt dann das Gefühl, es ist nie gut genug. Ich bin nie gut genug. Und dagegen entwickeln wir dann Alarmsysteme in Form von inneren Antreibern oder inneren Kritikern. Diese Konditionierung ist dann schnell sehr eng. Ich bin der Meinung, dieses MÜSSEN ist alles Blödsinn, denn es geht beim Menschsein um etwas ganz Anderes: Es geht darum heraus zu finden was meine Bedürfnisse und wo meine Potentiale sind.

Wie können wir Menschen uns einander helfen, aus dieser Konditionierung heraus zu treten und unser Potential zu entfalten?

Ich denke, es gibt Zeiten, wo wir Menschen offen und empfänglich sind für Impulse von aussen. Und manchmal braucht es andere Menschen, die sagen: «Hey, das spüre ich auch oder das sehe ich auch in dir. Hey, mach das! Es ist gut, dass Du das machst.». Ich glaube, dass solche Botschaften bei uns Menschen eine Sicherheit und ein Vertrauen in uns lostreten können, das dann wirklich trägt. Sie unterstützen uns dabei diese Impulse dann umzusetzen. Aus eigener Kraft, die zwar da, aber vielleicht gerade verschüttet ist.

Ich denke, wir Kursleiter sind Impulsgeber und manchmal ist es so, dass diese Impulse wirken. Und dazu gehört eigentlich nicht viel. Ich muss offen sein und spüren, dass da jemand ist, der frei sein möchte. Mit Befreiung meine ich, dass man das leben kann, was man möchte und sich erlaubt, das auszuleben, was einem ein Bedürfnis ist. Und dann die Erfahrung zu machen, wenn ich das lebe, wird trotzdem alles gut. Ich bin der Meinung Freiheit ist ein Gut, das uns allen zusteht.

Was denkst Du, wie kann man frei sein?

Jeder von uns hat das Potential frei zu sein. Aber wenige trauen sich oder finden jemanden, der sie an die Hand nimmt und ein Stück des Weges begleitet. Manche gehen lieber einen Weg der Schulmedizin. Ich komme in eine Krise und möchte das Gefühl von Ohnmacht, Traurigkeit oder Hilflosigkeit nicht spüren und dann greife ich zu einem Medikament, dass das Gefühl dämpft. Aber es werden dann nicht nur Traurigkeit und negative Gefühle, sondern auch alle anderen Gefühle gedämpft. Es gibt viele Wege Gefühle zu dämpfen und sich nicht mehr zu spüren.

Machst Du etwas Bestimmtes, um Menschen dabei zu unterstützen in diese Freiheit zu gehen?

Ja, ich mache etwas ganz Bestimmtes. Etwas ganz einfaches: Authentisch sein. Man könnte auch sagen, wenn ich authentisch bin in dem wie ich bin, dann hat das Thema Authentizität Raum und Platz. Es kann dann etwas entstehen, was konzeptfrei ist. Mit diesem Authentisch-Sein bin ich in den Kursen in Resonanz mit den Teilnehmern.

Was macht für Dich Authentizität aus?

Das ist genau der Punkt. Es gibt nichts, was Authentizität ausmacht. Jeder muss seine ganz individuelle Authentizität finden – oder besser: zulassen, denn sie ist ja schon da. Klar, ich habe lange in Asien gelebt, viel erlebt, viele Selbsterfahrungsseminare gemacht aber irgendwie hat mich alles mehr in das konzeptfreie und in das authentische Thomas-Sein geführt. Authentisch kann traurig sein, kann wach sein, kann mitfühlend sein, kann Grenzen-setzend sein. Ich glaube, das Authentisch-sein spürt man, indem man sich frei fühlt. Das begleitet mich sehr viel: Das Gefühl ich bin wirklich frei. Freiheit hat nichts mit den äusseren Umständen zu tun. Es ist etwas, dass in mir geweckt wurde durch Funkensprüher, wie Du sie nennst. Über die Jahre habe ich gemerkt, dass ich das auch in anderen wecken kann und zwar indem ich relativ wenig «mache». Das ist der Punkt.

Und indem Du authentisch bist, ist es dem anderen möglich seine Authentizität zu spüren?

Ja, Du kannst es Dir vorstellen wie in Resonanz zu gehen. Du betrittst einen Raum und du merkst «Da ist dicke Luft», das spürt man richtig. Und das Gleiche passiert, wenn ein Kursleiter verbunden ist mit seinem Kern, also authentisch ist. Dann kann auch da eine Übertragung stattfinden, ein In-Resonanz-gehen. Natürlich muss der Kursteilnehmende dafür offen sein. Wenn Du jetzt im Kurs die ganze Zeit «im Kopf» gewesen wärst und die ganze Zeit gedacht hättest «Ist es das Richtige? Soll ich das machen? Was passiert hier?», dann hätte das auch bei dir nicht so funktioniert. Da wärst Du dann auf einer Ebene der Konzepte. Und dann sind das vielleicht auch noch Konzepte, die jetzt nicht gerade förderlich sind, um mir oder jemand anderem wirklich zu begegnen. Es braucht also einen Kursteilnehmenden, der dafür offen ist und einen Kursleitenden, der wirklich authentisch leben kann.

Ich bin dann offen und spüre, was ich Förderliches mitgeben kann. Da will jemand mit uns mehr Zeit verbringen? Dann schaue ich, ist das förderlich oder ist jemand in seinem Film «möglichst viel abgreifen zu müssen». Auch da können wir Kursleiter spüren, was förderlich ist. Sanft Grenzen zu setzen oder dranbleiben, wenn etwas Förderliches entstehen kann. Und dabei alle Teilnehmenden gleichermassen im Blick zu haben. Nicht jemand besonders zu beachten, weil der mir nach der Nase spricht oder besonders gut liegt.

Und wenn jemand kein Interesse hat in Resonanz zu gehen ist das auch gut. Es gibt Menschen, die sich selbst aufwerten, indem sie andere abwerten. Oder Menschen, die sich miteinander solidarisieren, indem sie alle möglichen Dinge kritisieren. Es gibt Menschen, die leben so. Ich muss aber da nicht mit in Resonanz gehen. Das ist vielleicht auch eine Fähigkeit, spüren zu können, wo jemand steht und gleichzeitig offen zu bleiben und sich überraschen zu lassen. Es muss ja nicht immer heissen, dass es passt, was man da spürt.

Wenn ich ein fertiges Bild habe über einen Kursteilnehmenden, dann gebe ich ihn in eine Box und du kannst sicher sein, dass es die falsche Box ist. Es gibt gar keine Boxen. Egal, ob derjenige vielleicht schwieriger ist oder nicht so mitmacht, wie ich es gut fände. Es gibt auch da viele Konzepte. Egal, ob es eine positive oder negative Box ist: Es ist übergriffig einen Teilnehmende in eigene Konzepte oder Boxen zu stecken. Auch wenn es gut gemeint ist, ist es übergriffig zu denken, ich wüsste was gut für dich ist. Und es hindert die Menschen daran, in ihre individuelle Authentizität zu finden. Ich finde es auch wichtig, ein Seminar so zu begleiten, dass die Kursteilnehmenden selbst in ihre Kraft oder in die Erfahrung kommen. Es geht mehr darum Menschen die Hand zu geben, aber gehen tun sie dann selbst.

Ich versuche, in die Mitte des anderen zu blicken. Man könnte sagen, ich versuche in deine Authentizität zu blicken. Dann begegnen sich zwei Authentizitäten und die machen das dann schon miteinander aus, was gerade hilfreich ist. Jenseits von allen Worten und Sätzen. Da passiert am meisten.

Und was passiert dann?

Du hast es vorhin gesagt: Du hattest im Kurs das Gefühl, dass Du so sein durftest wie du bist. Dass alles da sein und raus durfte. Es geht um einen Raum, wo jemand erst einmal die Möglichkeit hat, sich zu öffnen. Und dass nicht sofort wieder jemand da ist, der sagt: «Du musst das so und so machen!». Vielleicht kommt da erst einmal Traurigkeit, vielleicht kommt da Wut, Schmerz oder irgendetwas anderes. Wir Kursleiter sprechen von «Backdraft».

Infobox: Was ist Backdraft?

Backdraft ist ein Ausdruck aus dem Feuerwehr-Jargon. Kommt es in einem geschlossenen Raum zu einem Brand und man öffnet eine Tür werden die Flammen durch die Sauerstoffzufuhr erst einmal stärker und es kommt zu Explosionen.

Wenn wir beginnen uns dafür zu öffnen, was in uns ist, kommen wir vielleicht erst einmal in den Schmerzkörper (der Bereich, in dem alte Verletzungen und negative Verhaltensweisen abgespeichert sind) und das möchte dann raus. Wenn ich authentisch da bin, dann kann es bei einzelnen Teilnehmern zum Backdraft kommen. Es ist dann meine Aufgabe auch dafür den Raum zu geben, ohne hier Einfluss zu nehmen oder willentlich zu lenken. Das ist immer wieder eine Herausforderung. Daher müssen wir Kursleitenden auch immer schauen, dass es uns gut geht und wir eine gute Psychohygiene haben.

Ist Liebe ein wichtiges Thema im Hinblick auf Funkensprühen?

Das weiss ich nicht, ob das wichtig ist. Ich kann es nur für mich sagen. Der Weg zu mir selbst hat mich auch immer mehr zur Liebe geführt. Erst einmal zur Selbstliebe, also sich selbst anzunehmen mit all seinen Macken und Fehlern. Und dann habe ich gesehen, dass jeder Mensch, der mir begegnet eigentlich nur eines möchte: Leid vermeiden und Glück erfahren. Wenn einem dies so richtig bewusst wird, dann entsteht eine wertungsfreie Begegnung und man kann auch fremden Menschen gegenüber Liebe empfinden.

Was braucht es von der anderen Seite, damit Funkensprühen funktioniert?

Vor allen Dingen Offenheit aber auch Resonanz. Es gibt noch genug Kursleitende mit starkem Intellekt und Alphatum-Gehabe, die das Gefühl brauchen über allem zu stehen. Und es gibt auch genug Menschen und Unternehmen, die damit in Resonanz gehen und genau diese Menschen buchen. Die Frage ist, ob das noch die Zukunft ist. Das bezweifle ich. Ich denke, es geht immer mehr in das WIR als in das ICH.

Wenn man das mal extrem sehen würde, könnte man auch sagen Adolf Hitler war ein Funkensprüher. Er hat viele Menschen begeistert, die waren überzeugt. Aber das Resultat war Hass und Gewalt. Wir müssen selber Unterscheidungsfähigkeit entwickeln, wo sprüht denn dieser Funkensprüher hin? Wir müssen unsere eigene innere Weisheit einschalten, um zu spüren, was wir für unsere Entwicklung brauchen. Jeder kann in jedem Augenblick schauen: «Macht es mich noch frei, was ich lebe? Verbindet es mich mit Liebe, mit Menschsein mit Miteinander oder trennt es mich?» Da können wir sehr schnell auch gut gemeinte Konzepte, die vielleicht mal hilfreich waren, durchschauen und spüren: «Ich brauche jetzt etwas ganz Anderes.». Damit sind wir dann offen für neue Funkensprüher, die uns das geben, was wir gerade brauchen.

Wie war Dein Weg als Funkensprüher?

Als Kursleiter bin ich nie fertig. Ich würde sogar sagen, ich bin immer Anfänger. Das „Anfängersein“ finde ich auch am schönsten. Man kann so viel Neues entdecken und es ist auch authentisch. Jeder hat so viele Konzepte und Meinungen, aber geht es nicht viel mehr um Begegnungen?

Es gab eine Zeit, wo ich sehr stark auf der Suche war. Ich war beruflich erfolgreich und wurde dann sehr krank. Mein Antreiber, der versucht es jedem recht zu machen, war sehr stark und es endete im Burn-out. Dann kam eine Zeit, in der ich stark auf der Suche war und mein Weg mich nach Indien geführt hat. Dort habe ich zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, ich darf so sein, wie ich bin. Zu dieser Zeit habe ich einen emotionalen Backdraft erlebt. Es ist dann etwas Interessantes passiert: Ich habe in der Meditation erfahren, wer ich wirklich bin und worum es wirklich geht. Ich habe erfahren, also wirklich erlebt, dass wir Menschen auf eine tiefe natürliche Weise miteinander verbunden sind. Wir Menschen streben in unserem Kern nach Miteinander; Wir SIND miteinander und haben alle dieselbe Essenz. Wir alle möchten Glück erfahren und Leid vermeiden.

Was denkst Du, warum ist es uns Menschen so wenig bewusst, dass wir alle verbunden oder eins sind?

Gesellschaftsbedingt lernen wir das leider nicht. In der Schule und Arbeit geht es eher darum besser, klüger, stärker zu sein als andere. Da sind wir in dem Bereich, dass ich besser also getrennter sein muss als andere, um erfolgreich zu sein. Das macht nicht glücklich. Das ist die Ebene des Ego-Minds. Dieses geht nicht in Resonanz mit anderen, sondern hat immer etwas Wertendes und Trennendes: Ja / Nein, Richtig / Falsch, Gut / Böse. Dieser Geist sieht viel mehr das Negative. Im normalen Leben nähren wir diesen kritischen Geist häufig und er wird über die Zeit immer negativer. Daraus entsteht viel Leid. Man kann dies in der Flüchtlingspolitik aktuell beobachten. Was entsteht beim unreflektierten Politiker, der in der Ebene vom rationalen Ego-Mind lebt? Der hat Angst. Was sagt der Kopf? Die müssen wir abwehren. Was macht er? Er baut Mauern.

Der verbundene Geist ist menschlich, er hat Mitgefühl. Er sieht, das sind Menschen wie du und ich und schaut nach der Ursache: Warum flüchten sie? In der Meditation kultivieren wir den positiven, verbundenen Geist. Wir lernen Mitgefühl, Verständnis, Wohlwollen.

Also geht es darum, weniger im Ego-Mind zu leben und mehr im verbundenen Geist?

Das Ego als solches ist kein Problem. Das brauche ich zum Überleben. Die Frage ist: Welchen Strukturen des Egos gebe ich Kraft? Dem Teil, der uns Menschen verbindet oder dem Teil, der uns Menschen mehr trennt. Mache ich etwas, das mich glücklich macht, bei dem ich mich öffne und mehr spüre? Oder tue ich etwas, dass mich hart oder aggressiv macht, dass mich verschliesst und zum Panzer macht, der sich durchsetzen muss? Es geht darum, diese Qualitäten zu spüren und Unterscheidungsfähigkeit zu entwickeln. Wenn wir das entwickeln, kommen wir wieder auf unsere Essenz zurück. Das heisst unser Ego-Mind kann unser Zurückkommen auf die Essenz sogar fördern. Und dann erfahren wir Vertrauen, Verbundenheit, Leichtigkeit, Freude. Ich glaube fest daran, dass diese Form des Miteinanders der Schlüssel dafür ist, das wir als Menschen überleben.

Wie können wir Menschen zu mehr Miteinander kommen?

Da hatte ich neulich so eine Situation. Darin wurde mir wieder bewusst, wie wichtig es ist, dass wir Menschen uns mit uns selbst beschäftigen, damit wir glücklich und frei werden.

Ich war Skifahren und bin als letzter in eine Gondel eingestiegen. Die Gondel war ziemlich voll und ein Herr, der über 2m gross war, hat sich schon gefreut, dass keiner mehr hineinkommt und er Platz für seine Beine hat. Als ich dann einstieg habe ich gemerkt, dass er mich sauer anschaut. Während der Fahrt war spürbar, wie sprichwörtlich dicke Luft entstand und sich bei ihm eine Aggression aufbaute. Ich habe ihm ins Gesicht geschaut und er sah wirklich müde und ausgezehrt aus. Sein ganzer Körper war angespannt bis zu den Händen, die zu Fäusten geballt waren. Ich wusste nicht genau, was jetzt passiert. Und dann machte seine Tochter, die neben ihm sass, etwas ganz Entscheidendes: Sie muss gemerkt haben, dass er sehr unter Anspannung stand, lehnt sich zu ihm hin und beginnt ihn zu streicheln.

Also sie reagiert mit Liebe. Er entspannte sich sofort und lächelt sie an. Ich habe gemerkt, wie die Wut verschwindet. Ich habe dann auch gespürt, wie von mir aus ein ganz starkes Gefühl von Liebe zu ihm geht. Da war mir wieder klar, dass es im Leben eigentlich nur um die Liebe geht. Wenn wir das mehr leben würden, dann hätten wir wenig Probleme. Ich meine damit kein Klischee, sondern Mitgefühl in der Politik, in der Arbeitswelt, in der Ausländerpolitik – das fehlt uns gewaltig.

Fällt es Dir manchmal besonders schwer in einem Zustand zu sein, in dem Du Funken sprühst?

Ich habe gemerkt, dass ich oft menschlich an meine Grenzen komme. Für mich würde es nicht mehr in Frage kommen, die Arbeit allein zu machen. Florian übernimmt immer einen Teil der Kurse. Neben der Zeit als Kursleiter, in dem ich den Raum öffne, damit eine heilsame Dynamik entsteht, brauche ich Zeit für mich. Interessanter Weise wird das in letzter Zeit immer mehr Zeit, die ich brauche.

Dem gebe ich ganz bewusst Raum, damit ich wirklich in meiner Energie bin. Einmal vor zwei Jahren ist es mir passiert, das ich nicht mehr authentisch da sein konnte. Es war ein Kurs im Dezember und ich hatte so oft hintereinander das Selbsterforschende Gespräch gemacht, dass ich gar nicht mehr authentisch Dasein konnte. Ich kam dann in einen Sog, in einen Automatismus des Unterrichtens.

Bevor eine Überforderung entsteht, war es für mich wichtig zu erkennen, dass da jemand Zweites hinzukommen muss. Das finde ich spannend und es ist ein unglaublicher Mehrwert. Nicht nur für mich, sondern auch für die Teilnehmer. Ein zweiter Kursleiter, der auch authentisch da sein kann, kann dann noch einmal andere Bereiche ansprechen.

Was brauchst Du, um in einem guten Zustand zu bleiben? Was sind Deine Strategien?

Ganz wichtig ist für mich die tägliche Praxis. Ich mache verschiedene Übungen zum Thema Selbstmitgefühl und Selbstwert. Es geht darum, sich jeden Tag, auch wenn man nicht gut drauf ist, das Recht zu geben, so da zu sein, wie man ist und sich selbst willkommen zu heissen. Auch innere Raumübungen mache ich, in denen Vieles hochkommen kann.

Ich nehme mir Zeit für mich und mache dann Sachen, die so ganz normal und bodenständig sind. Ich liebe es, richtig schnell Ski und Auto zu fahren. Vor etwa 3 Jahren hatte ich eine Nahtod-Erfahrung, als man mich im Krankenhaus zweimal wiederbelebt hat. Und da habe ich gemerkt, dass ich zwar meinen Geist schulen und frei sein kann, aber der Körper ist nur zeitlich begrenzt. Ich habe dann beschlossen, dem Materiellen mehr Raum zu geben. Ich lebe viel intensiver und freier. Ich ziehe mich an, wie es mir passt und habe mir ein neues Auto gekauft.

Wichtig ist auch, Erfolge zu geniessen, das Leben und das Menschsein zu feiern. Ich bin am liebsten unter Menschen, aber dann nicht als Kursleiter. Das kann überall sein: Auf einem Rockkonzert, in einem Café, auf einer Skipiste. Dann brauche ich auch nichts Spezielles. Wenn ich Mensch sein kann unter vielen Menschen, ist das für mich ein riesen Geschenk.

Was würden Deine Frau oder Dein Partner Florian sagen, was Du brauchst, um in die Energie zu kommen?

Meine Frau würde sagen: «Thomas, ich bewundere, was Du für eine Work-Life-Balance hast. Du arbeitest viel, aber Du nimmst Dir Raum für Deine Person und Deine Bedürfnisse.» Und das finde ich cool.

Florian, der im Interview neben mir sitzt, ergänzt dann noch:

Wir haben oft den Moment, dass die Energie oder Kraft kommt, mit den Menschen. Wenn wir uns unterhalten über eine Situation, jemanden auf der Strasse treffen oder die Kurse beginnen, dann kommt dieses Gefühl, dann kommt die Energie. Sie kommt mit den Menschen.

Und wie bist Du ausserhalb der Kurse Funkensprüher?

Ich würde sagen sehr zurückhaltend oder einfach anders. Für mich ist das Berufliche und Private untrennbar. Es ist aber ein Stück weit eine andere Energie, die berufliches und privates Funkensprühen unterschiedet. Als Kursleitende haben wir einen direkten Auftrag. Die Leute kommen, die wollen etwas mitnehmen, sind also offen. Sobald Menschen da sind, die etwas wollen, wo ich einen Auftrag habe, da drehe ich das Level Funkensprüher hoch und bin offen und schaue, was man Förderliches mitgeben kann.

Wenn mir jemand privat begegnet, ist es eher ein neugieriges Gucken und wenn der andere kein Interesse hat in Resonanz zu gehen, ist das auch gut. Ansonsten kann das Funkensprühen nach hinten losgehen. Es wäre dann so, als ob ich dem anderen etwas Bestimmtes mitgeben will. Aber was weiss ich denn, was der andere braucht?

Funkensprühen kann aber in einer Beziehung oder auch beim Treffen mit «Hinz und Kunz» entstehen. Und zwar dann, wenn man spürt, dass eine innere Bereitschaft da ist oder wenn es sich so ganz natürlich ergibt.

Auch dazu habe ich eine Gondelerfahrung. Ich bin eingestiegen und irgendwie war eine komische Energie da. Erst haben wir beide geschwiegen und dann habe ich gesagt «Wow, das ist heute ein richtig schöner Tag zum Skifahren.» Und der andere antwortete dann «Ja, heute Morgen war der Schnee besser.» Ich sagte dann, dass ich da noch nicht auf der Piste war und er sagte «Selber schuld!». Und ich habe dann lachend geantwortet «Jaaa, aber ich bin jeden Tag hier und kann immer Ski fahren. So, könnten wir jetzt weiter machen, dann setzt immer jemand noch einen drauf.» Er hat dann auch angefangen zu lachen und plötzlich war ein Funkensprühen da.

Danach ging es um ganz menschliche Sachen und wir sind auf eine persönlichere, nähere Ebene gekommen. Auch da sprüht etwas. Aber es ist keiner auf der Suche oder so. Es ist zwischenmenschlich etwas ganz Natürliches, was dort passiert.

Das kann also jede*r?

Ja, das ist das Schöne. Ich hatte da neulich eine Kursteilnehmerin, die als Verkäuferin tätig ist. Sie sagte, es sei schwer für sie das zu leben, in ihrer Rolle als Verkäuferin. Ich habe dann gesagt, dass sie das natürlich könne. Sie kann empathisch und freundlich sein und sich öffnen für den Menschen, der da ist. Es geht dann auch darum, vielleicht nicht gleich mit dem ersten Negativen, was derjenige von sich gibt, in Resonanz zu gehen und es zu werten, sondern offen und neugierig zu bleiben. «Aha, das hat er jetzt so gesagt. Gucken wir mal, was da noch so drin ist.» Da sind wir auch wieder bei der Achtsamkeit: Neugierig, wertungsfrei und offen sein.

Gibt es noch eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die Du gerne beantworten möchtest oder etwas, was Du noch sagen möchtest?

Ich finde das richtig cool, was ihr da mit «Funkensprüher» macht. Unsere Grundmotivation als Kursleiter ist: Wir möchten Menschen helfen, dass sie sich als Mensch mehr finden können und freier werden. Und «Funkensprüher» geht auch in diese Richtung. Das gefällt mir richtig gut.

3 Minuten Video

Am Ende eines jeden Interviews stellen wir unserem Funkensprüher noch einmal 2 Fragen, damit ihr einen ganz persönlichen Eindruck bekommen könnt:

  • HEUTE ANFANGEN – Was ist eine Sache die jeder heute machen könnte, um ein bisschen Funkensprüher zu sein?
  • 1 min ON AIR – Nehmen wir an, es würden jetzt alle Bildschirme, Fernseher,  Handys, Radios anspringen auf der ganzen Welt und jeder könnte Dich 1 Minute lang hören. Welche Botschaft würdest Du gerne senden?

Und hier seht ihr Thomas Antworten.

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Mehr zur Person Thomas Schneider?

Geboren und aufgewachsen ist er in den Bergen des Kleinwalsertals. Mit seinen langjährigen Erfahrungen und Ausbildungen zur Achtsamkeitspraxis und Meditation, ist es ihm ein Anliegen, Menschen mit effizienten, auf Achtsamkeit und auf der Natur des Geistes basierenden Methoden zu begleiten und zu begeistern. Seit dem Jahr 2003 begleitet er Menschen und Organisationen in Achtsamkeitsseminaren, Meditationskursen und Urlaubs-Seminaren in der Natur.

https://www.wegezumsein.com

Funken-Aktivitäten

Folgende Funken-Aktivitäten habe ich im Gespräch mit Thomas herausgehört:

Andere Bestärken

  • Ich denke, es gibt Zeiten, wo wir Menschen offen und empfänglich sind für Impulse von aussen. Und manchmal braucht es andere Menschen, die sagen: «Hey, das spüre ich auch oder das sehe ich auch in dir. Hey, mach das! Es ist gut, dass Du das machst.»
  • Ich versuche mich in den anderen hinein zu versetzen und zu spüren, wann ein solcher Impuls gut tut und ganz natürlich aus mir sprudelt.

Inspiriert aus dem Interview mit  Thomas Schneider.

Aus der Box lassen

Ich versuche zu spüren, wo jemand steht und gleichzeitig offen zu bleiben und sich überraschen zu lassen. Es muss ja nicht immer heissen, dass es passt, was man da spürt.

Wenn ich ein fertiges Bild über einen Menschen habe, dann gebe ich ihn in eine Box und du kannst sicher sein, dass es die falsche Box ist.  Egal, ob es eine positive oder negative Box ist: Es ist übergriffig einen Menschen in eigene Konzepte oder Boxen zu stecken. Auch wenn es gut gemeint ist, ist es übergriffig zu denken, ich wüsste was gut für dich ist.

Inspiriert aus dem Interview mit Thomas Schneider.

Das Verbindende entdecken

Im Alltag, in der Schule und Arbeit geht es oft darum besser, klüger, stärker zu sein als andere. Wir leben dabei etwas Wertendes: Ja / Nein, Richtig / Falsch, Gut / Böse. Das hat immer etwas Trennendes und es macht nicht glücklich.

Wir Menschen streben in unserem Kern nach Miteinander: Wir alle möchten Glück erfahren und Leid vermeiden. Wenn wir mehr nach dem Verbindenden schauen und den positiven Geist kultivieren, handeln wir mitfühlend, wohlwollend und menschlich.

Inspiriert aus dem Interview mit Thomas Schneider.

Portrait Thomas Schneider